Bei mir persönlich hat es für heutige Verhältnisse - zumindest wenn ich an die Generation bis etwa zur Lebensmitte (also bis ins "Mittelalter" so wie bei mir) denke - lange gedauert, bis ich das
Reisen so richtig für mich entdeckt habe. Mir kam es weder in den Sinn, nach der Schule als Backpacker durch die Welt zu "trampen", noch habe ich im Studium ein Auslandssemester ernsthaft in
Erwägung gezogen oder ein Praktikum außerhalb der rot-weiß-roten Grenzen. Heut wundert mich das, wenn ich die Zeit und die Möglichkeit einmal ganz ausblende, weil ich das "unterwegs Sein"
wirklich genieße. Vielleicht liegt es bei mir aber auch an meinen Lebensumständen.
In meiner Kindheit bin ich zwei Mal (berufsbedingt durch meinen Vater) mit meinen Eltern in ein anderes Bundesland umgezogen und habe so jeweils beinahe meinen kompletten Freundeskreis aufgegeben
und einen neuen aufgebaut. In der 4. Volksschule, mit 9 Jahren, war das recht einfach. Zumindest für mich als Kind. Ich nahm gerade noch die letzte Blockflötenstunde (mein Talent war übrigens
ziemlich überschaubar) bei der zwei Häuser weiter wohnenden und um einige Jahre älteren Regina, stieg ins Auto meiner Eltern, winkte unseren Nachbarn und kam ca. 5 Stunden später am Abend in
unserer neuen Heimat in der Nähe von Lienz an. Statt in einem Doppelhaus im Ennstal in der Steiermark, wohnten wir nun in einem Mehrparteienhaus in Osttirol. Statt fast lauter älteren Mädchen gab
es jetzt nur mehr Burschen in jeder Altersgruppe in der Nachbarschaft. Aber das war alles kein Problem. Es war klar, dass ich überall mitmachen konnte, und wenn einmal nicht, weil ich etwa beim
Fußball nicht so schnell laufen konnte, stand ich halt einfach als Mädchen im Tor und gab mein Bestes, um die Knaller der Jungs um jeden Preis abzuwehren. 😄 Wenn wir mal Schabernack trieben war
ich entweder mittendrin oder stand "Schmiere" und beim Baum kraxeln und Arschbomben im Schwimmbad oder am See versenken, war es sowieso egal, dass ich ein Mädchen war und kein Junge und keine
Osttirolerin. Zumindest lief das so bis zur Pubertät. Da werden sich die Geschlechter ja oft erst suspekt, bevor sie es dann irgendwann miteinander probieren. Aber bis dahin hatte ich schon lange
wieder einen Freundeskreis mit lauter netten Mädels.
Mit 14 sind wir dann als Familie neuerlich umgezogen. Diesmal nach Kaprun im Salzburger Land. Sprachlich war das im Vergleich zum letzten Mal "easy", weil die Dialekte der Obersteirer und
Pinzgauer nicht so weit auseinander liegen. An der Stelle sei übrigens erwähnt, dass meine Mutter mehrere Jahre der Meinung war, eine "Gitsche" sei eine Milchkanne und kein Mädchen. 😳 Was sich
für mich aber völlig anders als beim letzten Mal angefühlt hat, war der Aufbau eines neuen Freundeskreises. Mit 14/15 Jahren steht der nämlich schon lange und statt mit offenen Armen aufgenommen
zu werden, wird man zumeist vorher genau beäugt. Plötzlich ist man nicht einfach ein Mensch, den man (noch) nicht kennt, sondern "die Neue" oder
"die Fremde" statt wie als Kind einfach ein weiteres Kind, mit dem man spielen oder "Pferde stehlen" kann. Für einen heranreifenden Erwachsenen trennt uns in dem Alter schon mehr als uns
verbindet. Die Herkunft, die Sprache, das Elternhaus, der Freundeskreis usw. Da ist es umso schöner, wenn es Menschen gibt, die unvoreingenommen auf einen zugehen, ganz offen Fragen stellen, um
dich kennenzulernen oder einfach in der Schule deinen Stuhl in der letzten Bank, wo du seit Tagen alleine sitzt, schnappen, in die erste Reihe tragen, die anderen anweisen, ein wenig
zusammenzurücken und dir sagen "Wir haben hier leicht auch zu fünft Platz!" (Dafür bin ich dir heute noch dankbar, liebe Susi) 🤝🙏🏻
Mit der Zeit baut man sich dann erneut einen Freundeskreis auf und lernt ein paar Dinge. Nämlich dass ab einem gewissen Alter niemand auf einen wartet, dass man aktiv auf Menschen zugehen muss,
wenn man Kontakte knüpfen möchte und dass das Fremde vielen von uns Unbehagen bereitet oder gar Angst macht und einen allein darum schon nicht jeder mag. Manchmal begleiten uns Freunde nur eine
gewisse Zeit lang, manchmal verliert man sich aus den Augen und findet sich wieder, ab und zu entwickelt man sich auch einfach in unterschiedliche Richtungen und dann und wann begleiten uns
Freunde ab dem Zeitpunkt, in dem man sie kennenlernt, bis zum Rest unseres Lebens. Da spielt es dann auch keine Rolle, wenn man sich nur ein paar Mal im Jahr hört oder trifft. Mit Freunden ist es
jedes Mal so, dass man dort anknüpfen kann, wo man aufgehört hat und sich einfach so zeigen kann, wie man eben ist. Und das ist ein besonderes Geschenk.
Jetzt bin ich etwas ausgeschweift beim Schreiben warum ich erst spät zum Reisen gekommen bin, aber schließlich ist unser ganzes Leben eine Reise, und darum finde ich das ok. Und so sind fremde
Menschen, denen wir auf Reisen begegnen, für mich bis heute einfach Menschen, die ich (noch) nicht kenne und wo sich öfters eine kurze Begegnung ergibt, an die man sich erinnert, und ab und zu
die Chance besteht, eine neue Freundschaft aufzubauen.